Kriterien zur Designkritik

Kriterien zur Designkritik


Josephine Becker führte für Ihre Abschlussarbeit an der Folkwang Universität der Künste in Essen ein Interview mit Karsten Rohrbeck über Designwettbewerbe und Kriterien zur Designkritik. Sein Fazit:

»Gute Gestaltung ist, wenn ich etwas erzeuge, das eine Verbesserung darstellt, ohne gleichzeitig andere Dinge schlechter zu machen.«

Erzähl vielleicht kurz was über dich. Wer bist du und von welcher Seite näherst du dich Gestaltung an?

Ich bin in der damaligen DDR aufgewachsen. Nachdem die Mauer gefallen war, habe ich das sehr genossen. Ich war damals neun und habe stark gespürt, wie ein Befreiungsgefühl durch die Menschen ging. Die vielen neuen Einflüsse habe ich umarmt. Ich bin in Berlin aufgewachsen, nach dem Abitur und dem Zivildienst habe ich mir dann bewusst außerhalb von Berlin eine Agentur gesucht, bei der ich meine Ausbildung anfing. Es war eine kleine Designagentur in Braunschweig, die sich auf Corporate Design spezialisiert hatte. Ich habe damals in die Bewerbung geschrieben, dass ich auch an dem »manipulativen Charakter« der Werbung interessiert sei. Zum Glück bin ich aber an eine Agentur geraten, die sowas eben nicht machte. Ich habe dann ziemlich schnell verstanden, dass es etwas besseres als diesen manipulativen Charakter der Werbung gibt. Nach meinem Abschluss als Mediengestalter habe ich dann in Köln in einer Werbeagentur mit klassischen Hierachien gearbeitet. Ich bemerkte, dass es für mich nicht allzu große Aufstiegschancen gab. So habe ich parallel an der »ecosign/ Akademie für Gestaltung Köln« mein Studium begonnen. 2011 habe ich dort den Abschluss gemacht. Es war eine sehr schöne Zeit. Früher hätte man das Studium dort als humanistische Lehre bezeichnet; es wird ein ganzheitlicher Ansatz verfolgt: Philosophie und Psychologie gehören ebenso zu den Studieninhalten, wie alle aktuellen Designdisziplinen und Designgeschichte. Es geht nicht nur um die äußere Form, eine schöne Gestalt, die Oberfläche, sondern vor allem darum, was der Inhalt aussagt. Mit welcher Absicht wird die Gestaltung abgesendet und wie empfängt und empfindet der Nutzer diese? Diese Herangehensweise habe ich für mich als Leitfaden verinnerlicht. Während des Studiums habe ich mich auch nebenbei schon selbstständig gemacht. Nach dem Studium habe ich dann mal die Seiten gewechselt und war Markenbeauftragter eines gemeinnützigen Kölner Unternehmens. Mit meinen Kenntnissen und Erfahrungen habe ich dann von innen heraus die Marke aufgebaut. Diese Zeit schärfte mein Verständnis dafür, wie es dem Gegenüber auf der Kundenseite so geht. Seit 2014 betreibe ich mit meinen alten Studienkollegen zusammen das »designbüro köln«. Wir lieben den Glanz der Wahrheit und haltbare Kommunikation.
Von welcher Seite nähere ich mich Design? Naja, ich versuche, mich immer von der richtigen Seite zu nähern. Und um das zu schaffen, muss man auch manchmal mehrmals um das Problem herum laufen. Dafür stellen wir uns oft mehr Fragen zum Projekt, als der Kunde selbst mit bringt. Das ist etwas mühsamer – auch für den Kunden – aber in dieser Auseinandersetzung, in diesem Prozess, tut sich dann in der Regel immer der richtige Blickwinkel auf.

Was sind für dich Kriterien für gute Gestaltung?

Gute Gestaltung ist, wenn ich etwas erzeuge, das eine Verbesserung darstellt, ohne gleichzeitig andere Dinge schlechter zu machen. Und das ist wirklich sehr schwierig und sehr selten. Viele denken, wenn Gestaltung gut ist, muss sie auch für möglichst viele Menschen gut sein. Aber manchmal ist Design auch ausgerechnet dann gut, wenn es nur für eine Person einen ganz bestimmten Nutzen erfüllt oder etwas verbessert. Das können ganz kleine Dinge sein.

Und wie ist das bei Plakaten?

Es kommt natürlich immer auf die Absicht, die Message, an und ob diese durch das Medium angemessen kommuniziert wird. Die Gestaltung eines Plakats ist dann gut, wenn es das Interesse des Betrachters länger anhaltend wach hält und nicht nur schnelle Ablehnung oder Zustimmung erzeugt. Denn dann hat man den Betrachter ja schon längst wieder verloren.

Wie schätzt du momentan die generelle Wahrnehmung der Designszene und des Designers ein?

Ich weiß nicht, ob es vielen Gestaltern so geht, aber Ich komme aus einem Umfeld, in dem keiner meiner Freunde oder meiner Familie eigentlich richtig weiß, was ich mache und was mein Beruf überhaupt mit sich bringt. Und egal wie oft ich davon erzähle, was ich eigentlich mache, können sie es immer noch nicht mit eigenen Worten wieder geben. Und das ist ein Aspekt: Dass nicht richtig verstanden wird, was eigentlich die Aufgabe des Designers ist. Viele denken, es geht tatsächlich nur darum, eine schöne Oberfläche zu gestalten. Aber dass ein langer Problemlösungsprozess voraus geht und eine Auseinandersetzung nötig ist, die sich nicht nur auf diese Oberfläche beschränkt, verstehen viele nicht und verinnerlichen das auch nicht.
Gleichzeitig habe ich den Eindruck, dass seit vielen Jahrzehnten – aber im letzten Jahrzehnt besonders – der ganze Alltag »überdesignt« wird. Alles muss einem gewissen Style entsprechen und »designed« sein. Und das wird von jedem Einzelnen verlangt: Jeder soll der Designer seines Umfelds und seines Lebens sein. Das baut einen ungeheuren Druck auf und es fällt auch leider auf recht fruchtbaren Boden. In Wahrheit kann man aber im eigentlichen Sinn nicht immerzu »designen «. Man kann sich nicht ständig mit wirklichen Problemen beschäftigen – das macht Design nämlich in Wahrheit. Folglich verkommt Gestaltung zu oft zu einer reinen Oberflächengestaltung. Deshalb ist es auch so wichtig, das von einander abzugrenzen. Natürlich laufe ich immer mit einem Designerblick durch die Welt. Doch würde ich versuchen, alle Probleme, auf die ich stoße, zu lösen, würde ich kein normales Leben mehr führen können.

Wie stehst du zu Designwettbewerben? Wann hast du das letzte Mal an einem teilgenommen?

Zuletzt habe ich 2014 bei den »Schönsten Deutschen Büchern« eingereicht und kam unter die 25 Schönsten. Ich denke, es gibt verschiedene Arten von Gestaltungswettbewerben. Es gibt jene, die man als Werkzeug für seine Öffentlichkeitsarbeit als Designer nutzen kann. Das bleibt oft allerdings nur ein Insider. Dann gibt es Wettbewerbe, bei denen man sich das Label eigentlich »kaufen kann«. Auch wenn das natürlich nicht offiziell zugegeben wird. Ich meine, wie viele im Grunde mittelmäßige Gestaltungen haben in den letzten Jahren einen »Red Dot« erhalten? So kann man sich einen Marketing-Vorteil erkaufen. Und dann gibt es die Seltenen, die tatsächlich anhand objektiver Kriterien gute Gestaltung vergleichbar bewerten. Aber auch diese haben ihre Grenzen. Es gibt strukturelle Probleme bei solchen Wettbewerben. Beispielsweise kommt es nicht vor, dass ein Preis mal nicht vergeben wird, weil es keine »beste« Gestaltung gibt. Der Wettbewerb selbst hat eine Struktur und bestimmte Preiskategorien, die auch alle besetzt sein wollen. Es ist somit ein selbsterhaltendes System. Der Preis muss vergeben werden, selbst wenn die Qualität eigentlich nicht stimmt. Man darf als Gestalter außerdem nicht glauben, man würde bei einem Wettbewerb objektiv bewertet und geehrt. Es kommt immer darauf an, wer in der Jury ist und wer die Wettbewerber sind. Wie im Berufsalltag: Man kann nur gegen das in dem Moment befindliche Umfeld antreten und in diesem Querschnitt auffallen oder eben nicht. Die Bewertung ist immer subjektiv. Die Juroren haben ihre Kriterien, führen auch intensive Diskussionen und ihre Entscheidung hat in der Regel Hand und Fuß. Jedoch spielen ganz viele verschiedene Dinge in eine Prämierung mit rein.

Warum sollten junge Gestalter an Gestaltungswettbewerben teilnehmen?

Sie sollten teilnehmen, um dieses Prinzip, das ich vorhin beschrieben habe, einmal kennen zu lernen und auch um zu lernen, mit einer solchen Jury-Entscheidung umzugehen: Ist es mir verdammt wichtig, der Beste zu sein? Dann kann ich daran lernen, noch besser zu werden.

Gibt es etwas, das sich deiner Meinung nach, an Wettbewerben in der Gestaltungsbranche ändern müsste?

Von »den Schönsten deutschen Büchern« habe ich generell einen sehr guten Eindruck. Ich finde, bei diesem Wettbewerb wird viel Wert auf Öffentlichkeitsarbeit und Transparenz gelegt. Die Begründung der Jury ist sehr ausführlich und die Kriterien sind transparent. Wenn mehr Wettbewerbe diese Qualität hinsichtlich Fairness und Transparenz hätten, wäre das ein großer Gewinn. Auch in Bezug auf die Gebühren bei der Einreichung.

Findest du es gerechtfertigt, dass handwerkliche Kriterien bei den »Schönsten deutschen Büchern« einen so großen Stellenwert haben?

Ja, denn das Buch ist ein haptisches Objekt und somit spielen handwerkliche Kriterien einfach mit rein. Auch Gestalter müssen sich der handwerklichen Möglichkeiten bewusst sein, selbst, wenn sie es nicht selber ausführen. Es gilt, die handwerklichen Möglichkeiten in jede gestalterische Entscheidung mit einzubeziehen.

Hast du einen Rat für junge Gestalter?

Ich finde, junge Gestalter müssen mutig sein. Ich unterrichte ja auch und ich merke, wie ängstlich die jungen Designstudenten teilweise sind. Nur Versuch macht schlau: Man muss Dinge ausprobieren. Man kann vorher nicht wissen, ob die Idee richtig oder gut ist. Zum Gestalten gehören Versuch, Irrtum und das kleine Scheitern dazu. Wer nicht wagt sich auszuprobieren, der kommt über den ersten Punkt der Idee niemals wirklich hinaus. Gleichzeitig ist wichtig: Lernt die Regeln, um sie dann zu brechen. Ich glaube, eine gewisse Lernfaulheit feststellen zu können. Man muss sich anschauen, was es alles schon gibt, auf welcher Tradition man aufbauen will. Es gibt auch Dinge, die einfach nicht noch einmal neu erfunden werden müssen. Die klassischen Recherche-Tugenden dürfen nicht verlernt werden. Diese Fülle der Informationen heutzutage kann einschüchtern, man darf sich aber davon nicht abschrecken lassen. So bekommt man einen Spiegel, in dem man das eigene Schaffen reflektieren kann. Lernt und klaut im Studium von den Besten. Ja, auch Klauen ist eine Form der Übung. Übt so viel es geht. Wenn ich nicht übe und übe bekomme ich nicht raus, was meine Stärken sind. Man kann mit Gestaltung die Welt ein wenig besser machen und das sollte auch der Antrieb eines jeden Gestalters sein. Dessen sollte man sich immer bewusst sein.