Doc. Magazin Interview

Doc. Magazin Interview


Daniel Angermann im Interview für das »Doc.Magazin« Nr. 13 der Fakultät für Design der Hochschule München zum Thema Authentizität:

Ein Gespräch mit Mara Fischer

Was verbindest du mit dem Wort Authentizität?

Herkunft, Natur, Umwelt und Gesellschaft. Wir nehmen vieles einfach hin statt es zu überprüfen. Es ist wichtig sich ausgiebig mit dem was uns umgibt zu beschäftigen. Dabei seine Persönlichkeit / Werte mit Rücksicht auf eigene Bedürfnisse und die der Umgebung in Einklang zu bringen. Ohne Bewertung entstehen keine Werte. Wichtig ist selbstbestimmtes handeln.

Würdest du von dir behaupten, authentisch zu leben und zu arbeiten?

So gut es geht. Das System bringt ja auch so seine Tücken mit. Ich versuche schon ein paar Dinge zu vermeiden in Bezug auf meine Werte. Ich arbeite primär nicht fürs Geld sondern um mit Menschen gute Beziehungen zu führen; einen gemeinsamen Werteaustausch halte ich für sehr wichtig. Ich arbeite mit Menschen zusammen, dessen Werte auch mit meinen übereinstimmen. Mir fällt da immer ‚Backwerk‘ ein, die ja für die Masse produzieren und vielleicht damit nur ökonomische Ziele verfolgen. Ich würde eher mit einem Becker zusammen arbeiten, der den Anspruch hat Menschen gut zu ernähren und nicht nur das Ziel verfolgt damit Geld zu machen.

Wenn ich an Authentizität denke, fällt mir sofort das Wort ‚Emotionalität‘ ein. Kannst du das nachvollziehen?

Werte sind auf jeden Fall mit einem starken Gefühl verbunden. Wenn ich ganz weit vorne ansetze würde ich sogar sagen, es geht bis in die Evolution zurück. Das ich mich immer rück besinnen will: wo kommen wir her. Was haben wir alles, wie gut geht es uns, was ist das eigentlich für ein Paradies. Das man nach innen geht und seine Werte tatsächlich überprüft, aber mit diesen auch im aussen im Dialog bleibt. Wenn ich z.B. im Wald spazieren gehe, empfinde ich das als sehr angenehm. Wobei das ja in den meisten Fällen schon eine Kulturlandschaft ist, weil es ja gar keine Natur mehr gibt eigentlich.

»Nur wenn du die Scheisse frisst, kannst du sie auch bewerten«

Alleinsein ist also wichtig um sich wieder zurück auf die eigenen Werte zu besinnen?

Man muss sich schon mit sich beschäftigen. Alle anderen sind ja schon besetzt. (lacht) Durch sich selbst. Alleine zu sein ist schon wichtig, aber es darf auch nichtkippen. Die Mischung macht’s. Man muss ja auch Reibung zulassen. Gerade andere Perspektiven sind ja dazu da um das eigene Selbst nochmal kritisch zu hinterfragen und demnach ist auch alles Prozess. Du kannst dich 5 Jahre in deinem Büro wohl fühlen und hinter dem stehen was du machst und dann kommt einer daher und sagt einen Satz und dann musst du das plötzlich nochmal überprüfen ob das deine Werte sind und ob sie das überhaupt je wirklich waren. Aber alles ist Prozess. Mittlerweile bin ich schon so weit, dass ich weiß, die sind es, das ist nach wie vor das richtige. Leute die gar nicht alleine sein können sind vielleicht nicht bei sich selbst. Haben vielleicht Angst vor der Auseinandersetzung mit sich selbst, vor der Ungewissheit. Man muss in sich reinhorchen können, auch wenn einem das was man dort findet auch mal nicht so gut gefällt. Und so entsteht auch Glück. Man muss innerhalb seiner Tätigkeit frei sein. Es geht nicht nur um Dienstleistung. Ich meine: Freiheit oder Freizeit? Was würdest du Präferieren? Freiheit natürlich! Ja genau, weil Freizeit ist ja eine Erfindung der Industrie.

Also braucht man keinen Urlaub wenn man vollkommen frei in seiner Arbeit ist?

Also ich glaube, selbst wenn man für eine Sache brennt, kann man auch ausbrennen. Man muss seine Flamme schon schützen aber dafür braucht man natürlich viel Freiraum. Wenn man in einer Firma angestellt ist, ist es viel schwieriger frei zu sein und sich mit den eigenen Werten durchzusetzen. In der Selbstständigkeit funktioniert das besser.

Du hast da dieses Projekt mit dem Plastikabfall aus dem Rhein..?

Letzten Sonntag habe ich mich zu einer Müll-Aufräum-Aktion zum Rhein bewegt, da haben wir 30 Säcke Müll weggeräumt. Aber ja, schon seit 2012 sind Meer, Wasser, Kunststoff und Produktion ein Thema bei mir. Ich fische aus dem Rhein Plastikabfall und setze ihn z.B. in Rahmen und somit in einen neuen Kontext. Ich mache zwischendurch immer wieder mal was. Es ist immer wieder spannend was man findet und welche Formen die Dinge über die Zeit angenommen haben.

Also machst du aus Plastikmüll Kunst?

(lacht) Das ist ja immer die Schwelle zwischen Design und Kunst. Damit habe ich mich schon zu meiner Studienzeit viel auseinandergesetzt. Ich versuche die beiden Begriffe immer aufzuheben. Das Thema Verantwortung und Gestaltung primär. Also das jemand aus sich selbst heraus schöpferisch tätig ist. Denn wenn man mit sich und dem was man macht im Einklang steht, und hinter dem steht was man tut, dann ist es auch für die Gesellschaft gut. Auch wenn man aus Überzeugung und Leidenschaft Brötchen backt. Für mich ist daher auch jeder Mensch Künstler, also Gestalter, frei nach Beuys.

Und wie bist du zum Design gekommen?

Ich war 15 Jahre lang Eiskunstläufer. Danach bin ich von da aus irgendwie zum Graffiti gekommen und habe viel typografisch experimentiert um meinen Emotionen Ausdruck zu verleihen. Nicht der Sache wegen, es war einfach mein Medium um mich auszudrücken. Danach hatte ich schon immer einen starken drang. Auch Dinge die ich sehe zu reflektieren oder zu transformieren, sie an die Öffentlichkeit zu bringen. Ich glaube der Prozess hat sich seit dem ich 15 bin nicht verändert: Ich sehe etwas was ich scheiße finde oder sagen wir in Frage stelle, dann gehe ich durch einen kleinen Prozess damit um anschließend etwas neues daraus zu machen was ich dann im klassichen Kontext der Siegerkunst aufhänge und den Menschen um mich herum wieder vorsetze um in einen Dialog zu kommen.

Also lautet dein Schwerpunkt ‚Neuinterpretationen‘?

Ja, aber niemals mit einem (!) Ausrufezeichen dahinter, das ist mir sehr wichtig. Ich bin nie fertig mit meinen Werken. Es sind immer zwischen Stadien, weil ich den Dialog zwischen den Menschen fördern will. Spannungsfeld zwischen Kunst und Design, wann ist es Kommunikation wo hört diese auf, wann ist ein Kunstwerk offen, wann abgeschlossen. Ich mag es einfach die Sachen mit einem Fragezeichen in den Raum zu stellen, damit sich der Betrachter Fragen stellt. Das ist ja subjektive auch gar nicht anders möglich. (lacht)

Kennst du das Problem beim Gestalten, wenn der Kopf dicht macht?

Stichwort: Fokus. Ich bin jemand der viel macht. Also meine Auftragsarbeiten, freie Sachen, Musik produzieren. Ich kann mich auf keins alleine beschränken aber es ist immer die selbe Flamme. Es ist ok das die Themen innerhalb verschiedener Medien zu zeigen. Manchmal wünsche ich mir, mich mehr auf eine Sache fokussieren zu können um dann eben auch stärker für diese wahrgenommen zu werden. Am Ende ist es auch eine Frage von Aktzeptanz. Ich kenne das schon, klar aber auch das scheitern hat sein Berächtigung und kann eine starke Arbeit sein.

Bist du sehr kritisch mit dir selbst?

Ja schon. Also ich gucke schon oft meine Seite an. Ich hab auch das Problem das ich zu viel mache und dann irgendwann den Überblick verliere. (lacht) Als ich noch Teil der Galerie August war, hatte ich mal alle 450 arbeiten die ich als arbeiten zähle- auch viel Schrott- ausgedruckt und aufgehängt. Danach war ich auf jeden Fall ruhiger. Und es war spannend zu sehen, dass sie auch alle thematisch aneinander angelehnt sind. Werte überprüfen. Sich selbst (sein wirken) rekursiv zu betrachten ist sehr wichtig um zu erkennen, wie man sich durch das Leben bewegt, um zu sehen was einen bewegt hat (Überwunden ist), noch immer bewegt oder nie bewegt wurde.

Schmeißt du viel weg?

Ja schon. Manche Sachen habe ich auch verkauft. Viele Sachen gebe ich an Freunde. Ich habe mich aber auch immer schwer damit getan Sachen abzugeben. Wenn man so stark emotional arbeitet, finde es sehr schwierig ein Original herzugeben. Eine Reproduktion ist einfacher.

Ja verstehe, ist dann ja auch ein Teil von sich selbst den man weggibt …

Ja, aber eigentlich darf das nicht sein. Weil eigentlich produziere ich es ja für das Wir. Und ich habe die letzten Jahre auch vieles gehen lassen, das fühlt sich besser an. Es jemandem zu geben der es weiterträgt. Es hat immer auch etwas damit zu tun wieviel man sich selbst an Wert zuspricht. Vielleicht kommt man so auch wieder zum Anfang: Wie suche ich Kunden aus? Genau wie Käufer, nach gemeinsamen Werten. Wobei mir da eine Geschichte einfällt die das Gegenteil beweist: Ich hab mal angelehnt an Joseph Beuys ein Typo Plakat gestaltet mit dem Titel ‚I miss you much.‘ Da kam mal ein Arzt ins Atelier der großes Interesse daran hatte es zu kaufen. Er hatte die Arbeit in einem Interview von ‚freunde von freunden‘ gesehen. Ich wollte dann mit ihm quatschen, weil ich dachte er fände es so Stark in Bezug auf die Anlehnung an die Gedanken zu Gesellschaft und Demokratischen Gedanken von Beuys. Ich dachte einfach er würde die Story dahinter kennen und es deswegen kaufen wollen. Aber eigentlich fand er die Typo einfach nur schön. (lacht) Ich habe es ihm gegeben, weil ich mir dachte: Das Werk schafft jetzt einen Draht zu ihm. Nämlich das er sich vielleicht mit Beuys auseinandersetzt und wenn nicht dann eben nicht. Außerdem hängt es an einem ganz besonderen Platz in seiner Wohnung; von der Straße aus können die Leute es im Vorbeigehen betrachten und anscheinend haben ihn auch schon viele darauf angesprochen. Und ganz ehrlich: Erst so kann es ja über einen Dialog gleichgesinnter hinaus zu etwas neuem Anregen.

»Form follows Content«

Joseph Beuys scheint eine wichtige Figur für dich zu sein. Inwiefern hat er dich als Gestalter und Mensch geprägt?

Ja das stimmt. Vor allem hat mich seine Idee geprägt, innerhalb der eigenen Tätigkeit frei zu sein und das jeder Mensch ein Künstler ist. Und Kunst ist ja nicht an Material gebunden sondern an das Feuer das jeder besitzt.

Reden wir jetzt von Leidenschaft?

Ja aber nicht nur Leidenschaft. Auch das urtypische, ein Gespür für Formen und Materialien zu haben. Was sind warme Materialien, was ist eher kalt. Aber auf Beuys bin ich schon früh gestoßen: Als ich jünger war bin ich immer etwas angeeckt, weil ich diese bunten Tüten mit den chemischen Süßigkeiten in Frage gestellt habe. Ich dachte mir damals dann oft: man kann auch mal ne Kohlrabi schälen. Für jeden einen Streifen Kohlrabi. (lacht) Aber im Prinzip habe ich das ganze blinde konsumieren in Frage gestellt. Man sollte einfach nicht alles fressen. Und damit meine ich nicht nur Lebensmittel.

Was würdest du Joseph Beuys fragen, wenn du ihn treffen würdest?

Nichts. Ich würde ihm auf die Schulter klopfen und sagen: ‚Seh‘ ich auch so!’

Hättest du in deiner beruflichen Laufbahn gerne etwas anders gemacht?

Nein, ich glaube ich hätte alles nochmal genauso gemacht. Jede Erfahrung ob gut oder schlecht, ist ja wichtig für die eigene Entwicklung. Ich bin nach meinem Eiskunstlaufen in so eine Phase gekommen wo ich rebelliert habe. Ich hab mich gefragt: wo ist meine Sozialisation? Meine Jugend habe ich mir brachial zurückgeholt. Kleinere Verbrechen, der Jugendknast folgte. Draußen schön im Kreis laufen, immer 4er Reihen. Morgens lief Elvis ‚in the ghetto‘, nachts hat man die Junkies schreien hören.Diese Erfahrung hat etwas negativ und die muss weißgott auch nicht jeder Mensch machen, aber mich hat sie in vielerlei Hinsicht sehr stark gemacht und ist heute ein Teil meines Wirkens im sozialen Kontext.

Das nervigste an deinem Job vs. das Beste an deinem Job?

Es ist harte Arbeit Leute zu überzeugen | Es ist das Größte wenn dir das gelingt

Was wird im Design unterschätzt vs. Was wird im Design überschätzt?

Der Inhalt | Notwendigkeit der Form

Must hear?

Diana Ross & Frank Sinatra

Dein letzter Kauf?

Weiße Sneaker.

Was ist das erste was du machst wenn du nach Hause kommst?

Mich auf meine Couch legen für einen power nap.

Deine nächste Reise?

Ich bin nicht der Reise Typ. Ich bin gerne in meinen eigenen 4 Wänden und wenn
dann lokal unterwegs. Urlaub ist für mich oft stress, eben Freizeit und keine Freiheit.

Du in 10 Jahren?

Dass alles hoffentlich so schön bleibt wie es ist. Vielleicht Kinder.

München in 1 Wort?

Glasplatte. Ich mag aber eher 80er Schleifpapier.

Eine Weisheit von dir?

Wer sich nicht zum Affen macht gehört nicht den Affen an.

»Jeder Mensch eine Collage«